Akteur*innen auf einem Revolutionsbild von 1848: Marcus Pflüger, Hirschenwirt und Wahlmann

Der Gemeinderat und Wahlmann Marcus Pflüger am 20. April 1848 in Lörrach, ganz rechts mit Zylinder, Frack und weißer Weste, Gemäldeausschnitt, Dreiländermuseum Lörrach, Foto: C. Hoécker
Der Gemeinderat und Wahlmann Marcus Pflüger am 20. April 1848,, ganz rechts mit Zylinder und weißer Weste, Gemäldeausschnitt, DLM Lörrach, Foto: C. Hoécker

Auf dem Gemälde „Einzug der Freischaren unter Weißhaar“ von 1848, das in der Ausstellung des Dreiländermuseums zu sehen ist, hat der Maler Friedrich Kaiser hinter den versammelten Gemeinderäten den Hirschenwirt und Posthalter Marcus Pflüger (1824–1907) im Profil porträtiert.

Pflüger war Mitgründer der Lörracher Bürgerwehr. Jedoch trägt er nicht deren Uniform, wie die vor ihm stehenden Gemeinderäte, sondern einen eleganten Frack mit weißem Hemd, Weste und Zylinder. In seiner rechten Hand hält er eine Reitgerte, in der linken eine Zigarre. Streng blickt er zu Joseph Weißhaar auf, der auf seinem Pferd mit gezücktem Säbel die Lörracher beschimpft, weil sie sich den Freischärlern nicht anschließen wollen. Wenige Tage zuvor hatte die Bürgerversammlung Pflüger zusammen mit Friedrich Müller, Gastwirt aus Grenzach, als Gesandte nach Karlsruhe geschickt. Dort rieten ihnen die Abgeordneten des badischen Parlaments davon ab, sich am Heckerzug zu beteiligen.

Buchpreis des Pädagogium, Eintrag rechts, 1837, Hermann-Pflüger-Stiftung Freiburg, Foto: C. Hoécker

Marcus Pflüger wurde vor 200 Jahren, am 8. Mai 1824, in der Turmstraße 1 geboren. Seinen Eltern gehörte dort das Gasthaus zum Hirschen, das sie ausbauten und über die Grenze hinaus bekannt machten. Pflüger besuchte das Pädagogium in Lörrach, wo er als fleißiger, exzellenter Schüler zum Examen 1837 einen Preis bekam. Auf einem Internat in Lausanne erwarb er kaufmännische Kenntnisse, anschließend absolvierte er in renommierten Hotels im In- und Ausland seine Lehrzeit. Nach dem frühen Tod seines Vaters übernahm er 1846 mit seiner Mutter Elisabeth das große Gasthaus mit Posthalterei, Landwirtschaft und Weinbergen.

Die Mutter Elisabeth Pflüger, um 1845, Ölgemälde von Johann Friedrich Grether, Hermann-Pflüger-Stiftung Freiburg, Foto: C. Hoécker

Beeinflusst von den politischen Umbrüchen in der Schweiz engagierte sich der umtriebige Pflüger für freiheitliche Ideen. Dem ersten Badischen Aufstand unter Hecker im April 1848 stand er als Wahlmann zunächst ablehnend gegenüber. Er erhoffte ein vereintes, parlamentarisches Deutschland auf legalem Weg. Enttäuscht von den Ergebnissen der Frankfurter Nationalversammlung änderte er jedoch seine Ansicht. Beim zweiten Badischen Aufstand unter Struve beteiligte er sich als Hauptmann der Lörracher Bürgerwehr. Im September 1848 kämpfte er mit seiner Mannschaft gegen die weit überlegenen Regierungstruppen. Im letzten Moment konnte er sich auf seinem Postschimmel vor deren Kugeln retten und floh mit anderen Freischärlern in die Schweiz.

Marcus Pflüger, um 1860, DLM Lörrach, Repro: C. Hoécker
Marcus Pflüger, um 1860, DLM Lörrach, Repro: C. Hoécker

Nach der Revolution heiratete Pflüger Johanna, die Schwester seines Freundes Friedrich Müller. In Abwesenheit wurde dieser wegen seiner revolutionären Umtriebe zu zwei Jahren Haft verurteilt. Marcus unterstützte Friedrich im Exil und reiste mehrmals in die Schweiz. Ein preußischer Generalleutnant, der sich mit der Pflüger-Familie in Lörrach angefreundet hatte, warnte ihn in einem Brief an seine Mutter „vor allen geheimen und offenen politischen Verbindungen“, da er beobachtet würde und unter Verdacht stünde mit seinem Schwager in der Schweiz „in dieser Beziehung sehr thätig und wirksam zu seyn“. Pflüger nahm den Rat zu Herzen und wurde erst ab 1858, nach der Geburt seines jüngsten Sohnes Emil, wieder politisch aktiv. Bald war er in allen wichtigen städtischen Gremien vertreten, gründete 1860 die grenzüberschreitend arbeitende Wiesental-Eisenbahngesellschaft AG, die erste Kreishypothekenbank in Baden und eine Kreispflegeanstalt, die später nach ihm benannt wurde.
Die Lörracher Kreishypothekenbank war Vorreiter der Rheinischen Hypothekenbank in Mannheim, in der Pflüger viele Jahre lang Mitglied des Aufsichtsrats war. Dort waren bedeutende Unternehmer wie Friedrich Engelhorn und Carl Reiss vertreten. Für sein vielfältiges Engagement und seine Verdienste zeichnete der Großherzog Marcus Pflüger mit dem badischen Ritterkreuz erster Klasse aus. Damit war er der erste Ex-Revolutionär, der in Baden diese so hohe Auszeichnung erhielt.

Begräbniszug Marcus Pflügers durch die Basler Straße im September 1907, begleitet von der Freiwilligen Feuerwehr, die er gründete und deren erster Kommandant er bis 1871 war, Stadtarchiv Lörrach
Begräbniszug Marcus Pflügers in der Basler Straße im September 1907, im Hintergund links das alte Amtshaus, Stadtarchiv Lörrach

Als erster Lörracher wurde Pflüger 1874 in den Reichstag gewählt, zunächst für den Wahlkreis Lörrach-Müllheim und ab 1890, nach einem Rechtsruck in Lörrach, für Karlsruhe-Bruchsal. Zugleich war er fast 30 Jahre lang Abgeordneter im badischen Landtag in Karlsruhe. Fast alle seiner politischen Ämter führte er ehrenamtlich aus. Seine politische Karriere wäre jedoch ohne die Unterstützung seiner Mutter Elisabeth und seiner Ehefrau Johanna nicht möglich gewesen.
Der vielseitige Pflüger war ein Mann der Zahlen. Im Reichstag wurde er, wie schon im badischen Parlament, in die Budgetkommission gewählt, eine Aufgabe, die ihm auf den Leib geschnitten war. Rasch freundete sich der gesellige Pflüger mit seinen überwiegend norddeutschen, preußischen Parteikollegen und Sprechern der Linksliberalen an. Die größten Gefahren für die Demokratie sah Pflüger in der Bismarckverehrung, Sozialistenverfolgung, Militarisierung, Kolonialisierung und den Antisemiten. In einer Wahlrede in Karlsruhe bezeichnete er die Antisemiten als „Schandfleck des 19. Jahrhunderts“.

1898 erinnerte er in einer großen Jubiläumsfeier in seinem Gasthaus in Lörrach an die Revolution. Dabei stellte er auch das Revolutionsgemälde des Malers Friedrich Kaiser aus, das er von dessen Erben erworben hatte. Sein Leben lang war Pflüger überzeugt, dass die Revolution trotz ihres Scheiterns ein erster wichtiger Schritt zur Demokratisierung Deutschlands war.

Text: Carola Hoécker